Komödie der Eitelkeit

Moralischer Rigorismus scheint dieser Tage wieder en vogue. Meine Masterarbeit ist ein Entwurf für ein Bühnenbild im öffentlichen Raum. Er lädt dazu, Canettis Komödie als Möglichkeit zu sehen, sich im Spiegel eines moralischen Fegefeuers zu begegnen und die unerfüllbaren Verheißungen der Massenbewegung nochmals in den Blick zu nehmen.

In der „Komödie der Eitelkeit“ lässt Elias Canetti eine moralische Diktatur in den Kampf gegen die Eitelkeit ziehen. Letztere erweist sie sich bereits in Canettis Fiktion als äußerst robust.

Die Eitelkeit als „übertriebene Sorge um die eigene Schönheit, geistige Vollkommenheit oder Wohlgeformtheit des eigenen Charakters“ ist wohl immer auch ein Ausdruck der Angst, letztlich ungesehen, unberührt, ja der ganzen Welt und den Mitmenschen nur unverbunden und fremd gegenüber gestanden zu haben.

DIE BÜHNENINSTALLATION

Außerhalb der Aufführungen

Die Installation und das Mahnmal zur Bücherverbrennung sind tagsüber frei zugänglich. Die Bühnenbilder im Innern sind mit grauen Lamellenvorhängen verschlossen.

SCHMELZEN

Die Schaulustigen (eintreffende ZuschauerInnen) versammeln sich am Platz.

Private Fotografien der Liebsten, gemalte Portraits und Spiegel sollen dem Feuer überlassen werden. Überall tauchen Grüppchen auf, die leidenschaftlich darum wetteifern, wer am meisten für die neue Moral opfere.

Eine Familie geht ins Feuer. 

Die gesammelten Insignien der Eitelkeit werden ins Feuer gezogen…

Auch die Schaulustigen folgen schließlich den Eiferern ins Licht.

Drinnen lichtet sich der Rauch.

W-I-R

Die engen Arbeiterwohnungen bieten keinen Platz für Heimlichkeiten. Auf dem Hausdach suchen Witwe Weihrauch, Mai und Luise nach Entlastung. Ein Hehler handelt mit einer Spiegelscherbe.

Das junge Fabrikantenpaar eint nur noch der Hass aufs Hausmädchen Marie, die sich beharrlich weigert, ihnen das Selbstbild ersehnter Grandezza zu spiegeln.

Die alleinstehende Mai wirbt um Wondrak und lädt ihn zum Essen ein. Er erniedrigt sie über die Maßen. Sie gibt alles und verrät den Freund ihrer Freundin wegen dessen Spiegelscherbe.

Eine neue Zofe soll Marie ersetzen. Bedingung für Millis Einstellung ist das Ablegen ihres Vornamens, den die Hausherrin nicht mal an Haustiere vergeben wollen würde.

Der Bettler Nada lauert in Hauseingängen auf Passanten, die nicht immer ganz zufällig an ihm vorbeikommen.

Für eine Spende schmeichelt er ihnen, lobt deren elegante Erscheinung und Outfits.

Milli hat ein Auge auf Wondrak geworfen, der als Spitzel und Mitglied der Ortsgruppe eine gute Partie verspricht. Er überlässt ihr eine konfiszierte Spiegelscherbe, die sie verstecken soll.

Die junge, umtriebige Milli wartet auf ihren verschwiegenen Schwarm.

Leda ängstigt sich auf ihrem Heimweg vor dem Mob der Leidenden, die im Dunkel der Nacht Aufmerksamkeit einklagen.

Während Millis Mutter Therese die Ortsgruppe im Hinterzimmer ihres Ladens tagen lässt, taucht im Verkaufsraum eine Spiegelscherbe auf. Die linientreue Therese fällt in Ohnmacht.

Im Hinterzimmer brüten die „auserwählten“ Männer derweil über neue Maßnahmen gegen amoralisches Verhalten. Besonders Frauen würden sich in die Augen schauen, um dort ihr eigenes Antlitz spiegeln und betrachten zu können.

Zur Bestrafung wird das Augen-Ausstechen beschlossen.

Das Hausmädchen Marie sucht keinen Partner mehr. Ihr reicht schon, was sie bei anderen beobachtet. Der Prediger Brosam wirbt um sie.

Heinrich Föhn lauscht am offenen Fenster in die Nacht. Er wähnt sich als Messias der Leidenden, die sich an seinem Anblick laben können sollen.

Brosam irrt allein durch die Straßen und lauscht ebenfalls den Klagerufen der im Dunkel der Nacht lauernden Heimatlosen.

Eine Gruppe junger Mädchen bleibt am ‚Mahnmal zur Bücherverbrennung‘ stehen. Eine erzählt spöttisch, dass man nur noch mit dem Rücken zum See angeln dürfe, um sich nicht im Wasser zu spiegeln. Auch ins Mahnmal dürfe man aus diesem Grund nur noch nachts schauen, um sich nicht selbst im Glas erblicken zu können.

Der Ortsgruppenleiter Schakerl ist zuhause in einen katatonischen Zustand verfallen. Viele ereilt inzwischen die Spiegelkankrankheit als Symptom komplexer Mangelerscheinungen, dem Verlust von Autonomie, von Identität und von Verbundenheit mit anderen.
Eine Spiegelscherbe wird ihn retten, aber das Schicksal einer Hehlerin besiegeln.

Der Privatier Garaus ertrinkt im Selbstmitleid und erschlägt seine junge Lebensgefährtin Luise aus einer miesen Laune heraus.

ZUSAMMEN

Alle zieht es in die Bordelle. Erkannt werden will beim Anstehen aber niemand. Dritter Klasse sitzt man dennoch gemeinsam mit allen übrigen in einem großen Spiegelsaal.

Wer es sich leisten kann, mietet sich eine Luxuskabine für sich allein. Heinrich Föhn tobt, weil seine Kabine technisch nicht hält, was sie verspricht.

Privatier Garaus windet sich in seiner Kabine vor’m Spiegel. Er erträgt sein Anlitz nicht mehr, seit er Luise totgeschlagen hat.

Föhn fabuliert sich in Rage. Er ruft das Zeitalter des ICHs aus und fordert die Revolution.

Die Menschen (Publikum, SchauspielerInnen gemeinsam) im Saal betrachten sich und einander im Spiegel.

Föhn animiert einige unter ihnen zu einem dissonanten Chor: „Ich! Ich! Ich!…“ rufen sie wild durcheinander.

Mentor & Erstprüfer: Frank Hänig. Vielen lieben Dank für Deine tolle Unterstützung, lieber Frank!

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